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Der Traum von der Swissmetro

Schweizer Forscher entwickeln eine unterirdische Magnetschwebebahn, die durch luftleere Röhren dahinbrausen soll. Die Vision dahinter: Das ganze  Alpenland als Metropole

Von Lucian Haas

Swissmetro
Swissmetro
Quelle: Swissmetro AG

Die Schweiz im Jahr 2050: Standhaft behauptet sich das Land als neutraler Fleck mitten im Staatenmeer der EU. Entgegen aller Unkenrufe haben es die Eidgenossen geschafft, sich auch im Wettbewerb der großen Wirtschaftsregionen einen respektablen Platz zu sichern. Dafür haben die Schweizer viel getan, haben sich vom alten Kirchturmdenken verabschiedet. Die meisten von ihnen leben jetzt in Schweizerstadt. Diese moderne Millionen-Metropolis steht in einer Reihe mit London, Paris, Tokio, New York oder Buenos Aires und erstreckt sich über die ganze Zentralschweiz. Ihre Stadtteile heißen wie die früheren Städte, die jetzt zusammen das Agglomerat bilden: Genf, Bern, Luzern, St.Gallen. Wohnen am Genfer See, arbeiten in Zürich, Kaffee trinken in Bern. Das ist Lebensqualität und bringt die Schweizer einander näher. Vergessen ist die alte Grenze in den Köpfen zwischen französisch- und deutschsprachigen Landesteilen.

Möglich macht dies eine Idee aus dem Reich der Zukunftsgespinste: Zwischen den Stadtteilen verkehrt eine Magnetschwebebahn in einer weitgehend luftleer gepumpten Röhre 100 Meter unter der Erde. Eine menschengefüllte Rohrpost, 500 Kilometer pro Stunde schnell, halbe Schallgeschwindigkeit. Zwölf Minuten dauert die Reise von Genf nach Lausanne oder von Basel nach Zürich. In weniger als einer Stunde geht’s einmal quer durch die Schweiz. Das ist die Vision. Das ist Swissmetro.

Der Tunnel unterm Ärmelkanal war auch so ein Projekt. Teuer. Visionär. Grandios. Seine Vordenker und Erbauer haben sich nicht um Grenzen geschert, sondern sie einfach untergraben. Völker sind nun verbunden, Paris und London miteinander verknüpft. So ein Beispiel gibt Hoffnung. Auch der Schweiz.

„Die Frage ist nicht, ob die Swissmetro kommt“, sagt Pierre Weiss, Geschäftsführer für Zukunftsfragen beim Westschweizer Arbeitgeberverband in Genf. „Die Frage lautet: Wann kommt sie?“

Eine genaue Antwort weiß er nicht. „Napoleon“, sagt er nur. „Napoleon war der erste, der vom Ärmelkanaltunnel träumte. Ich hoffe nicht, so lange warten zu müssen wie Napoleon.“ Und dann lächelt der 48-jährige, der im Nebenjob Generalsekretär der Swissmetro AG ist. Triumphierend schwenkt er einen Brief. Darin schreibt ihm der Schweizer Verkehrsminister Moritz Leuenberger, dass er die Forschungen für die Swissmetro in den nächsten zwei Jahren mit jeweils zwei Millionen Schweizer Franken unterstützen wolle. Es geht also weiter. Diese Idee kann leben.

Wenn nur das viele Geld nicht wäre! 20 Milliarden Schweizer Franken sind für die Swissmetro-Strecke von West nach Ost, von Genf nach St. Gallen veranschlagt. Etwa der selbe Betrag wäre für die Nord-Süd-Verbindung von Basel nach Bellinzona nötig. Zusammen also 40 Milliarden Franken. Vergleichbare Großprojekte sind schon am Bruchteil dieser Summe gescheitert. Zuletzt die deutsche Magnetschwebebahn Transrapid. Hamburg-Berlin für acht Milliarden Mark - zu teuer. Ein schlechtes Omen für die Swissmetro?

Pierre Weiss lächelt wieder. „Das größte Problem der Swissmetro sind die Kosten“, sagt er. In seinem Kopf spielen die Milliarden aber eine untergeordnete Rolle. Er glaubt an die Idee. Die Zeit der Swissmetro wird kommen. Davon ist er überzeugt. Nicht jetzt. Und auch nicht morgen. „Swissmetro ist die Lösung für die Schweiz von übermorgen“, sagt er.

Die Schweiz von heute ist ein sensibles Gebilde. Ein Staat voller Grenzen, Barrieren, Hemmnisse. Die Berge. Die Kantone. Drei Sprach- und Kulturräume. Die Angst im Kopf, als neutraler Fleck wirtschaftlich von der allumgebenden EU überrannt zu werden. Die Sorge, die eigene Identität zu verlieren, wenn die Grenzen geöffnet werden. Ein kleinmütiges Land?

„Die Schweiz ist ein Land, das sehr viele Möglichkeiten bietet, langsamer vorzugehen“, beschreibt Professor Marcel Jufer, 59, die Situation. Er lehrt und forscht an der Eidgenössichen Technischen Hochschule Lausanne (ETHL) über Elektromechanik. Alles, was sich elektrisch drehen und bewegen lässt, ist sein Metier. Je schneller, desto faszinierender.

Motoren für Computer-Festplatten beispielsweise. Auf diesem Gebiet gilt er als internationale Koryphäe. Kaum eine neue Festplattengeneration, die nicht von seinem Wissen profitierte.

Genauso die Swissmetro. Seit den 80er Jahren widmet er sich dieser Idee. Sie stammt zwar nicht von ihm. Das Konzept entworfen hatte in den 70er Jahren Rodolphe Nieth, ein Ingenieur der Schweizer Bundesbahn (SBB). Aber Jufer hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die Swissmetro immer mehr Gestalt angenommen hat. In den Köpfen. Auf dem Papier.

Rund 20 Millionen Franken sind bislang in die Grundlagen-Forschung geflossen. Die Swissmetro wirft Fragen auf: Wie lassen sich Tunnel so konstruieren, dass sie dicht genug sind für ein Luftvakuum? Welche aerodynamischen Probleme treten in einer engen, langen Röhre auf? Wie lässt sich Strom berührungslos in ein Fahrzeug übertragen?

Die Ergebnisse von Professor Jufer und beteiligten Kollegen schlagen sich auch in anderen Bereichen nieder. Neue Tunnel für Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnen wie ICE, Shinkanssen und TGV werden künftig gemäß den Erkenntnissen zur Swissmetro-Aerodynamik optimiert. Festplatten-Motoren könnten bald ihr Magnetfeld auch gezielt als Stoßdämpfer für die empfindlichen Speicher-Scheiben einsetzen. Und in Lausanne werden ab 2001 kleine Kabinenroller eine neue Ära des öffentlichen Personenverkehrs einläuten. Sie sind elektrisch angetrieben, doch haben sie weder Batterien noch einen Stromabnehmer. „Serpentine“, nennt Jufer diese Entwicklung, weil die Wagen Stromkabel-Schlangen im Boden folgen, die ihnen per Induktion die Energie liefern und zugleich den Weg weisen.

So weit ist Swissmetro noch lange nicht. Die Bahn gibt’s bislang nur als kleines Modell in Jufers Labor. Ein langer roter Zug auf einer Magnetschiene. Fenster sind darauf gepinselt, obwohl es in der Röhre unter der Erde nichts zu sehen geben wird.

„Das ist Psychologie“, sagt Jufer. Ein Modell-Zug ohne Fenster würde abschrecken. Die Vorstellung, blind durch eine Röhre geschossen zu werden, hätte wohl wenig Freunde. Besonders bei den kritischen Schweizern, die so gerne ihre schöne Natur aus dem Zugfenster bestaunen. Also warum jetzt schon Widerstand hervorrufen, wo doch der Trumpf der Swissmetro darin liegt, andere Hürden zu umgehen?

Der Trumpf Swissmetro sticht, weil die Bahn tief unten im Tunnel saust. Da braucht man sich nicht um die Grenzen zu scheren, die an der Oberfläche herrschen.

Lärmgesetze? Von unten dringt kein Laut herauf. Flächenverbrauch? Im Untergrund ist noch viel Platz. Enteignungsprobleme? Die tiefen Schichten kennen keine Besitzer. Geschwindigkeit? Kein Berg, keine enge Kurve bremst die Fahrt.

Die Swissmetro sticht aber auch, weil sie mehr ist als nur ein Transportsystem. Sie ist die Chance für eine neue, moderne Schweiz, ein Ausweg aus wachsenden Problemen: Wenn der Flugverkehr an seine Grenzen stößt, weil den Flughäfen kein Platz zum Wachstum bleibt. Wenn für Auto- und Eisenbahn keine neuen Strecken mehr geplant werden können, weil die Trassierung in dichten Siedlungsgebieten durch abertausende Einsprüche der Anwohner behindert ist. Wenn die Schweiz in Europa an Bedeutung verliert, weil die großen Metropolen London, Paris, Berlin wie kräftige Magnete alle wirtschaftlichen und kulturellen Impulse gefangen nehmen. Wenn die Politiker gezwungen sind, den sich notorisch beargwöhnenden Schweizern im deutschen und französischen Teil des Landes ein neues Symbol ihrer Einheit zu geben.

All das trifft heute schon zu. Und darum gewinnt die Swissmetro - trotz ihrer hohen Kosten - immer mehr Unterstützer. Selbst Umweltschützer anerkennen deren Möglichkeiten. „Wenn man davon ausgeht, dass sich die Mobilität in den nächsten 30 Jahren noch einmal so entwickelt wie in den vorhergehenden 40 Jahren, ist möglicherweise die Swissmetro die ökologisch am wenigsten schlimme Alternative“, sagt Professor Thomas Baumgartner, der an der Eidgenössichen Technischen Hochschule Zürich an Ökobilanzen für die Swissmetro arbeitet.

Da lächelt Pierre Weiss wieder. Eine halbe Million Schweizer Franken wird die Kapitalerhöhung der Swissmetro AG in diesem Jahr betragen. Geld, um ein weiteres Jahr Werbung zu machen für diese Idee. Das ist seine Aufgabe. „Wir sind eine Promotionsgesellschaft“, sagt er. Ihr gehören mittlerweile - acht Jahre nach der Gründung 1992 - mehr als 180 Aktionäre an. Weiss: „Alle Beteiligten sehen in der Swissmetro etwas interessantes für die Zukunft.“

Die Creme der Schweizer Wirtschaft ist darunter. Großbanken wie die Credit Suisse Group, die Zementindustrie mit dem Holderbank-Konzern und dem Branchenverband Cemsuisse, Bauriesen wie Zschokke, Losinger, Batigroup. Selbst internationale Konzerne wie GEC-Alsthom, der Hersteller des französischen Hochgeschwindigkeitszuges TGV, und die Daimler-Chrysler AG. Sie alle sehen in der Swissmetro auch eine große Chance für sich selbst. „Das Projekt ist ein potenzieller Markt für die Gesellschafter“, sagt Weiss. Aufträge locken. Bei 40 Milliarden Schweizer Franken an geplanten Investitionen ist das eingebrachte Swissmetro-Kapital von derzeit knapp sechs Millionen ein billiges Trinkgeld.

Besonders die Schweizer Bauindustrie spekuliert auf das Projekt. Ohne Swissmetro könnten ihr in ein paar Jahren die Aufträge ausgehen. Ein herber Rückschlag nach fetten Zeiten. Jahrelang goss sie Atom-Schutzbunker in Beton, doch mittlerweile sind alle Schweizer damit versorgt. Jetzt gräbt sie noch große Eisenbahn-Tunnel durch das Gotthardt- und Lötschberg-Massiv. Danach wäre Schluss, die Schweiz weitgehend fertig gebaut.

Wollen das die Schweizer? Noch hat sie keiner gefragt.

Nur Professor Baumgartner merkt schon einmal an: „Wenn man es als wünschenswert ansieht, dass das Siedlungsgebiet von Genf bis St. Gallen sich in eine durchgehende urbane Zone verwandelt und sich diese Schweizerstadt als Standort im Wettbewerb mit Paris, London, New York oder Los Angeles behauptet, dann dürften wir so etwas wie die Swissmetro benötigen. Aber ist das eine Chance, oder ein Fluch?“

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Das Projekt Swissmetro

Swissmetro ist eine Art Transrapid als U-Bahn. Sie erreicht Geschwindigkeiten von bis zu 500 Kilometern pro Stunde. Um den Luftwiderstand und den Energieverbrauch zu senken, wird durch Pumpen in ihren Tunnels ein Teilvakuum erzeugt, das einem Luftdruck auf einer Höhe von 18000 Metern über dem Meer entspricht, etwa der Flughöhe der Concorde. Die Fahrzeuge sind darum wie ein Flugzeug mit Druckkabinen versehen und bieten 200 bis 400 Passagieren Platz.

Das Netz der Swissmetro soll zwei Strecken umfassen, ein Kreuz in Nord-Süd und West-Ost-Richtung, das alle größeren Schweizer Städte miteinander verbindet. Zwölf Minuten dauert jeweils die Fahrt zwischen den einzelnen Stationen.
1998 bescheinigten die technischen Universitäten von Zürich und Lausanne sowie private Ingenieurbüros dem Projekt in einer großen Studie die Machbarkeit. Die Forschungen sind weitgehend abgeschlossen. Nach dem Wunsch der Planer soll jetzt die industrielle Entwicklung einsetzen. Die Konzession für eine erste Pilotstrecke von Genf nach Lausanne ist beantragt. Bauzeit: Bis 2010. Kosten: rund vier Milliarden Schweizer Franken. Derzeit liegt sie allerdings auf Eis, weil der Staat von der Privatwirtschaft eine größere Beteiligung als nur rund 25 Prozent an der Finanzierung verlangt. Gleichzeitig sind auch andere Streckenvarianten in der Diskussion. Verkehrsminister Moritz Leuenberger selbst hat eine Verbindung der Flughäfen von Zürich und Basel ins Spiel gebracht.

Weitere Szenarien sehen sogar die Verknüpfung der Swissmetro mit dem Ausland vor. Die Swissmetro könnte, so die Vorstellung der Planer, zur Eurometro erweitert werden. Mögliche Strecken: Von Genf über Lyon nach Paris, von Bellinzona nach Rom, von St. Gallen nach München und von Basel nach Frankfurt.

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