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Segeln unter der Klimaflagge 

Neue Segelkonzepte geben der Schifffahrt eine Option angesichts steigender Ölpreise.

Von Lucian Haas

Maltese Falcon
Maltese Falcon: Das erste Schiff mit Dyna-Riggs
Foto: Dykstra/Sargentini

Die Idee für einen Frachter, der Motor- und Windantrieb kombiniert, liegt schon lange in der Luft: Das erste Konzept präsentierte der Ingenieur Wilhelm Prölss bereits 1967 am Institut für Schifffahrt der Universität Hamburg. Der Clou des so genannten Dyna-Schiffes ist seine besondere Takelung. Die sechs Masten sind aus Stahl und so stabil gebaut, dass sie vollkommen ohne stützendes Tauwerk auskommen. Um die Stellung der Segel mit Elektromotoren dem Wind anpassen zu können, sind die Dyn-Riggs drehbar montiert. Selbst das Segelsetzen geht ohne eine große Mannschaft vonstatten: Über eine Mechanik wird das Tuch einfach auf Knopfdruck wie Gardinen waagerecht zwischen die Rahen ausgezogen und bei zunehmenden Wind wieder automatisch in den schützenden Mast eingerollt.

Gebaut wurde das Dyna-Schiff damals nicht. Viele Reeder zeigten zwar in Anbetracht der ersten Ölkrise großes Interesse. Doch als die Ölpreise wieder fielen, wurden bereits erteilte Werftaufträge schnell storniert. Prölss Ideen und Patente wären womöglich vollkommen in Vergessenheit geraten, hätte nicht ein US-Milliardär sich einen Jugendtraum erfüllen wollen. Tom Perkins, der als Chef eines Risiko-Kapitalfonds in junge Firmen wie Genentech und Google investierte und damit ein Vermögen machte, wollte nicht nur einfach eine große private Segelyacht besitzen, sondern eine mit einer weltweit einmaligen Takelung – den von Prölss ersonnenen Dyna-Riggs.

Im Juni 2006 lief die Maltese Falcon, ein 88 Meter langer Dreimaster, in der Türkei vom Stapel. Mehr als 100 Millionen Euro sollen Entwicklung und Bau gekostet haben, aber  Perkins nennt keine genauen Zahlen. Teuer waren vor allem die 58 Meter hohen Masten, die zur Gewichtseinsparung aus hochfesten Kohlenstofffasern bestehen.

Im Dezember 2007 startete die Maltese Falcon vom italienischen Hafen La Spezia aus zu einer ersten Weltumsegelung. Dabei soll demonstriert werden, wie einfach die Dyna-Riggs bei unterschiedlichsten Bedingungen auf allen Weltmeeren zu segeln sind. Schon bald meldete sich Kapitän Chris Gartner per Email aus der Karibik: Von den kanarischen Inseln aus sei die Atlantik-Überfahrt vollkommen ohne Motorkraft gelungen – in elf Tagen mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von mehr als 11 Knoten (rund 20 km/h).

Die höchste Geschwindigkeit, die das Schiff bisher erreichte, lag bei knapp 25 Knoten (45 km/h). Dies deutet auf die hohe Effizienz der Dyna-Riggs hin. Anders als bei den rechteckigen Segeln der Windjammer, bei denen immer Lücken zwischen den einzelnen Segeln eines Mastes bleiben, sind die Dyna-Segel an den quer liegenden Rahstangen so abgespannt, dass sie zusammen eine geschlossene Fläche ergeben. Zudem sind die Rahen gebogen, was den Segeln zusätzlich ein aerodynamisches Profil verleiht.

„Ein Dyna-Rigg nutzt die Windenergie bis zu 40 Prozent effizienter als herkömmliche Rah-Segel“, sagt Peter Schenzle, Experte für Windantriebe bei der Hamburgischen Schiffbau-Versuchsanstalt (HSVA). Dank ihres Profils können die Segel zudem viel steiler in den Wind gestellt werden als bei anderen Großseglern. Die Maltese Falcon kommt selbst dann noch voran, wenn der Gegenwindin einem spizten Winkeln von 40 Grad schräg von vorn bläst. Herkömmliche Windjammer schaffen erst ab einem Kurs von mindestens 60 Grad zum Wind.

„Die ersten Erfahrungen mit der Maltese Falcon zeigen, dass das Konzept der Dyna-Riggs erstaunlich gut funktioniert“, sagt Schenzle. Lässt sich also Prölls Vision von modernen, windgetriebenen Frachtschiffen nicht doch umsetzen?

Tatsächlich sind die Randbedingungen für eine mögliche Renaissance der Frachtensegler derzeit so gut wie nie. Die Schiffsdieselpreise haben sich in den vergangenen vier Jahren mehr als verdoppelt. Der Ölpreis steht auf Rekordniveau und niemand rechnet damit, dass es nochmals einen eklatanten Preisverfall geben könnte. Zudem rückt auch die Schifffahrt in den Fokus der weltweiten Klimaschutzdiskussionen.

Laut einer 2007 veröffentlichten Studie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt verbraucht die internationale Frachtschifffahrt mit circa 280 Millionen Tonnen Treibstoff pro Jahr mehr als doppelt so viel Öl wie die Bundesrepublik Deutschland. Rund 2,7 Prozent der jährlichen anthropogenen CO2-Emissionen stammen aus Schiffsmotoren. Angesichts dessen ist es für Reedereien immer wichtiger, den Treibstoffverbrauch ihrer Schiffe zu senken – zum Beispiel mit Hilfe der Windkraft.

Neben den Dyna-Riggs werden bereits andere neue Windantriebskonzepte – gerade auch für Frachtschiffe – geplant und getestet. Am weitesten gediehen sind die so genannten Skysails. Diese gleitschirmartigen Hilfssegel kommen ohne Masten aus. Stattdessen schweben sie, von einem Autopilot gesteuert, wie ein Drachen an einer langen, am Bug befestigten Leine in mehr als 100 Meter Höhe. Im Idealfall erzeugen sie dabei so viel Zug, dass ein Schiff laut Modellrechnungen bis zu 50 Prozent Treibstoff sparen kann.

Als der Erfinder Stephan Wrage 2001 die Firma Skysails gründete, um seine Vision zu realisieren, hielten ihn viele in der Branche noch für einen Öko-Spinner. Davon ist nicht mehr die Rede. „Das Projekt Skysails wird mittlerweile sehr ernst genommen“, sagt Max Johns, Sprecher des Verbands Deutscher Reeder (VDR).

Was Wrages Konzept taugt, wird sich bald herausstellen. Kürzlich startete ein Frachter der Bremer Beluga Shipping GmbH zu einer ersten großen Fahrt mit einem 160 Quadratmeter großen Skysail. Von Bremerhaven aus geht die Tour quer über den Atlantik nach Venezuela, dann weiter nach Boston und zurück nach Bremerhaven. Niels Stolberg, der Chef der Reederei, ist jetzt schon überzeugt von dem neuen Antrieb: „Wir haben uns bereits entschieden, zwei neue Schwergutschiffe mit Skysails auszurüsten.“  Die Stapelläufe sind im kommenden Jahr geplant.

Ebenfalls 2009 soll ein weiteres Windschiff-Projekt Premiere haben. Derzeit ist auf der Kieler Lindenau-Werft ein Schwergutfrachter in Bau, der keine Segel, sondern vier so genannte Flettner-Rotoren als Antrieb tragen soll. Der ostfriesische Windanlagen-Hersteller Enercon gab das umweltfreundliche „E-Ship“ in Auftrag, um künftig damit seine Windräder kostengünstig und imageträchtig nach Übersee auszuliefern.

Ein Flettner-Rotor sieht aus wie eine überdimensionale Litfaßsäule, die sich, durch einen Motor getrieben, ständig dreht. Trifft Wind auf den Zylinder, teilt sich die Strömung, wobei sie auf der einen Seite durch die Drehung mitgerissen und beschleunigt, auf der anderen Seite hingegen abgebremst wird. Auf diese Weise entsteht wie bei einer Flugzeugtragfläche ein Sog. Aerodynamisch ist das vom Ingenieur Anton Flettner vor über 80 Jahren entwickelte System so effektiv, dass es bei gleicher Angriffsfläche die zehnfache Triebkraft eines normalen Segels entwickeln kann.

Dass seine Rotoren praxistauglich sind, konnte Flettner bereits 1926 eindrucksvoll beweisen. Damals fuhr der Frachter „Buckau“ mit zwei der Säulensegel bis nach New York. Wegen der lästigen Abhängigkeit vom Wind bevorzugten die Reeder damals dann aber doch die reinen Dampf- und Dieseltriebwerke. Erst jetzt beginnt das Umdenken.

Ob eines Tages auch Prölss Vision eines Frachters mit Dyna-Riggs realisiert wird, ist derzeit nicht abzusehen. Der Hamburger Schifffahrtsexperte Schenzle ist skeptisch - zumindest was die Frachtschifffahrt betrifft. Seiner Ansicht nach behindern die großen und ausladenden Masten das schnelle Be- und Entladen in den Häfen allzu sehr. „Ich sehe aber eine Nische für funktionelle Kreuzfahrtsegler“, sagt er. Möglicherweise bewies der risikofreudige Investor Tom Perkins mit der Maltese Falcon auch diesmal den richtigen Riecher. +++

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